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SCHONZEIT

Es ist wieder einmal Zeit - allerhöchste Zeit, etwas zu unternehmen, und zwar diesmal für die deutsche Sprache, um ihr auch in der internationalen Geschäftswelt zu jener Bedeutung zu verhelfen die ihr gebührt, und welche sie in der Welt der Literatur zweifellos seit jeher besitzt. Als größtes Hindernis ist derzeit ihre schwere Erlernbarkeit zu werten. Wie soll denn auch zum Beispiel ein japanischer Geschäftsmann ermutigt werden eine Sprache zu lernen, welche in ihrem Schatz eine Redewendung birgt die besagt, sie wäre (sogar als Muttersprache) eine schwere Sprache?

Was soll der lernbegierige Ausländer fremder Zunge denken, wenn selbst die Deutschsprachigen (je nach Veranlagung eher scherzhaft oder weinerlich) darüber klagen, daß es kein wirsches Getüm gibt, keinen Hold und kein Geziefer? Wie ist ihm zu erklären, daß ein Mann, der nicht mutig ist, keinesfalls unmutig und jemand, der kein Tier ist, nicht unbedingt ein Untier sein muß? Daß eine Unmenge sogar eine sehr große Menge, eine Unzahl eine sehr große Zahl, eine Untat eine (wenn auch im negativen Sinne) sehr bedeutungsvolle Tat ist?

Die wenigen Beispiele zeigen, wo hier gleich zwei der Hasen im Pfeffer bzw. Hunde begraben liegen: Gegenteil muß Gegenteil, bzw. kein Gegenteil darf ohne Teil bleiben. Wenn es gelänge, die deutsche Sprache in dieser Weise zu reformieren, so wären damit zumindest einige Fallen aus dem Wege geräumt. Dies jedoch wäre zur wirkungsvollen Förderung der leichten Erlernbarkeit noch zu wenig.

Unser Vorschlag, der als erster bedeutungsvoller Anstoß für eine echte Vereinfachung der deutschen Sprache gedacht ist, geht daher viel weiter und zielt dahin, zunächst die Anzahl der zu erlernenden Wörter (deren die deutsche Sprache im Vergleich zu anderen viel zu viele enthält) drastisch zu reduzieren, wobei der Wert, dem sich die Reformbestrebungen asymptotisch nähern sollten, bei der Hälfte des derzeitigen Wortschatzes liegt. Dies wäre in idealer Weise dann erreicht, wenn sich aus jedem Begriff - im einfachsten Fall durch eine Vor- oder Nachsilbe - sein Gegenteil ableiten ließe (notfalls müßten für verschiedene Begriffe erst Gegenteile geschaffen werden - siehe z.B. NEUrologe - ALTrologe -, was das neue Wörterbuch allerdings nicht allzu stark belasten würde).

Wie leicht einzusehen ist, kann dieser ideale Zustand auch nicht annähernd herbeigeführt werden. Daß jedoch mit Hilfe wissenschaftlicher Prinzipien auch in wenig aussichtsreichen Fällen bedeutende Verbesserungen zu erzielen sind, soll durch die Anwendung zweier dieser Prinzipien auf die Familien des Wörterpaares "schon - noch" gezeigt werden.

Der erste Blick in das Deutsche Wörterbuch zeigt das totale Chaos bei der Wortfamilie "Schon". Was, zum Teufel, hat sich der lernbegierige Anderssprachige, zumal wenn er nicht dem Beamtenstande angehört, unter dem Begriff "Ärmelschoner" vorzustellen? Etwa ein mehrmastiges Segelschiff mit Ärmeln (auf den Segeln?) oder ein solches, welches den Ärmelkanal befährt? Oder vielleicht gar einen ihm unbekannten Beruf? Was meint der Arzt, wenn er sagt, der Patient bedürfe dringend der Schonung: Ist ihm mit großer Rücksicht zu begegnen, ist er unverzüglich in einen frisch aufgeforsteten Wald zu bringen oder gar in einem Nachen dem Wellengang auszusetzen?

Abhilfe schafft hier ein Prinzip, welches jedem EDV-interessierten Schüler vertraut und im Ansatz - allerdings ohne konsequente Anwendung - in jedem Wörterbuch enthalten ist: Die Einführung alphanumerischer Ausdrücke. So bedeutet z. B. Schonung1 die Rücksichtnahme, Schonung2 den Wellengang und Schonung3 die Aufforstung. Schoner1 ist demzufolge ein Rücksicht Nehmender und Schoner2 das Schiff. Schoner3 bleibt (zumindest vorläufig) ohne Bedeutung und wird daher auch zunächst (mit Betonung auf diesem Wort) nicht ins neue Wörterbuch aufgenommen.

Die Endziffer ist also auf die anderen Mitglieder der Wortfamilie abzustimmen. Sie hilft dem Fremdsprachigen auch bei Gebrauch seines elektronischen Wörterbuches. Gibt es - wie gegenwärtig im Falle des Zeitwortes "schonen" - nur eine einzige Bedeutung, so entspricht sie allen Wörtern der Endung "1". Hier kann auf die Endziffer verzichtet werden.

Die künftige Verwendung von "schonen2" für die Fahrt mit dem Schoner2 wird von optimistischen Befürwortern der Sprachreform allerdings nicht mehr ausgeschlossen. In weiterer Folge könnte sodann das Zeitwort "schonen2,3" für "durch die Schonung auf einem Schoner fahren" stehen. Es ist zu befürworten, daß zwischen "schonen2,3" und "schonen3,2" kein Unterschied gemacht bzw. die Vertauschung der Endzahlen nicht als grammatikalischer Fehler gewertet werde, wie ja überhaupt die Reform als Hilfe zur Vermeidung von Fehlern und nicht zur Schaffung neuer Fehlerquellen gedacht ist.

Die theoretisch mögliche Bedeutung von "schonen1,2,3" ist nun auch für den sprachwissenschaftlich Ungeübten leicht zu erkennen, doch soll anhand dieses Beispieles ausdrücklich vor allzu überschwänglicher Kreativität bei der anstehenden wissenschaftlichen Arbeit gewarnt werden.

Inwieweit die Endziffer auch ausgesprochen werden soll, richtet sich nach dem Einfühlvermögen und den Kenntnissen des Gesprächspartners.

Großen Gewinn (im Sinne der Wortersparnis: Verlust) bringt bei unserem Beispiel die Anwendung des Gegensatzprinzips auf das Wort "noch" als Gegensatz von "schon". So bedeutet "Nochung1" eine absolut rücksichtslose (=noch1ende) Behandlung durch einen Noch1er, welcher sein bedauernswertes Opfer noch1t. Dieses macht hiebei gewissermaßen eine Noch1zeit durch. Die Aufzählung aller Wörter, die dadurch entfallen können, würde Seiten füllen.

Es muß hier darauf hingewiesen werden, daß zum Gebrauch der Endungen "-voll" und "-los" künftig absolut nur dann gegriffen werden soll, wenn sich für das voranstehende Wort kein Wörterpaar, welches mit der Endsilbe "-ig" auskommen würde, finden läßt.

Konsequente Anwendung des Gegensatzprinzips bringt aber wie vorhin angedeutet - auch neue Begriffe, deren logische Einordnung derzeit noch Schwierigkeiten bereitet. Im Falle von "schon - noch" allerdings wäre eventuell die Einführung der "neutralen" Endziffer "0" zu erwägen. So könnte zusätzlich zum Begriff der Schonzeit, welche theoretisch als "Schon1zeit" zu verstehen ist, die Schon0zeit als Gegensatz zur Noch0zeit geschaffen werden. Die erstere bedeutet (z. B. im Falle eines Urlaubs) die bereits verbrachte, die zweite die verbleibende Zeit. Es erübrigt sich der Hinweis, daß das Wort "bereits" künftig zu Gunsten von "schon0" aus den Wörterbüchern zu streichen sein wird.

Ähnlich verhält es sich mit dem Wort "Schonkost", dessen landläufige Bedeutung theoretisch als "Schon1kost" zu verstehen ist. Mit dem Gegenstück "Noch1kost" läßt sich ungenießbare oder schlecht bekömmliche Kost bezeichnen. Das Wortpaar Schon0kost - Noch0kost steht für Nahrung, welche man schon gegessen hat bzw. noch essen kann, im weiteren Sinn auch für Speisen, welche man schon bekommen hat bzw. auf welche man noch warten muß.

Ob man so weit gehen soll bzw. kann oder darf, jede Rothaut, welche kein Schoschone ist, als Nonochen zu bezeichnen, wird mehr als diesbezügliche wissenschaftliche Überlegungen die Akzeptanz bei den Deutschsprechern zeigen, wobei die Meinung der potentiellen Nonochen - rein statistisch gesehen - dabei eher irrelevant ist.

Das gewählte Beispiel zeigt, daß durch entsprechende wissenschaftliche Arbeit die deutsche Sprache, welche ab einem gewissen Fortschritt der vorgeschlagenen Reformen allerdings nicht mehr als solche bezeichnet werden sollte (wir würden uns die Bezeichnung "Deutschsprech" wünschen), tiefgreifender Vereinfachungen zum Zwecke der leichteren Erlernbarkeit fähig ist.

Als abschließende Bemerkung zum Gegensatzprinzip muß noch eine Warnung ausgesprochen werden, und zwar vor einigen schreibenden Damen, welche sich aus falsch verstandener Emanzipation heraus sprachschöpferisch betätigen und sich dabei auch nicht von orthographischen Hindernissen bremsen lassen.

Wenn es sich nämlich einmal durchgesetzt hat, das harmlose Wörtchen "man" gegebenenfalls durch "frau" zu ersetzen, so steht uns eine Flut neuer und gänzlich überflüssiger Wörter (etwa frauigglatt statt mannigfaltig?) ins Haus. Doch nun zurück zum Thema.

Als zweites großes Hindernis bei der Erlernung der Deutschen Sprache, welches viele Lernwillige abschreckt, wird die - heute allerdings nur mehr theoretisch - überaus komplizierte Grammatik empfunden. Praktisch sind auch hier in den letzten Jahren die starren Fronten in Bewegung geraten. Vergleichbar der "Abstimmung mit den Füßen" in der DDR hat hier sozusagen eine "Abstimmung mit dem Munde" stattgefunden, welche lediglich durch entsprechende Gesetze - sprich: grammatikalische Regeln - zu sanktionieren wäre.

Große Sorgen bereiten uns allerdings die Restbestände der vorhandenen deutschen Grammatik insoferne nicht, als sich die deutschsprachigen Fernsehanstalten erfolgreich bemühen, dieselben zum Verschwinden zu bringen. Besonders bei Werbesendungen ist uns die bereits nahezu lückenlose Abwesenheiten von Für-, Vor- und Bindewörtern ("das Hemd - der Geruch!") sowie die Dominanz des Infinitivs im Gebrauch des Zeitwortes positiv aufgefallen.

Große Anerkennung muß in diesem Zusammenhang den zahlreichen Synchronisierungsanstalten (es wird hier absichtlich keine mit Namen genannt!) ausgesprochen werden. Auch die allzeit lobeshungrige Presse soll zumindest nicht ohne freundliche Erwähnung ausgehen.

Unsere Hochrechnungen haben ergeben, daß gute Chancen bestehen, die beschriebenen Reformen gleichzeitig mit dem völligen Verschwinden der Grammatik aus der Umgangssprache (einschließlich jener im Fernsehen) zu Ende zu bringen. Das geschriebene Wort würde sich nach unseren

Berechnungen im Verlauf von 7 bis 13 Monaten angleichen. Gewisse zeitlich begrenzte Schwierigkeiten wären dann allenfalls noch in wenigen Alpentälern mit schlechtem Fernsehempfang und Zeitungs- leseunlustiger Bevölkerung bzw. bei besonders hartnäckigen Lesern von Büchern (!) zu erwarten.

Das Ziel unserer Bestrebungen ist jedenfalls dann erreicht, wenn jeder durchschnittlich intelligente (z. B.) Albaner nach dem ersten Semester Deutschsprech fließend den folgenden Satz übersetzen kann: Noch nocht sich der Nonoche auf dem Nocher in der Nochung *).

 

*) Anm. d. Schriftführg.: Dzt. o. Sinn, n. Durchführg. d. Ref. Geg.teil v. "Schon schont sich der Schoschone auf dem Schoner in der Schonung".