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OHNE TITEL, 1

Geh' her da, Herr Polier, und schau Dir an, was Deine Maurer da schon wieder zusammengemauert haben. Ich glaube, daß Deine Maurer, Herr Polier, wie sie sich da an's Mauern gemacht haben, schon längst nicht mehr so nüchtern gewesen sind, wie es wünschenswert gewesen wäre und wie sich das eigentlich für die Durchführung einer so wichtigen und verantwortungsvollen Tätigkeit wie das Aufstellen einer Mauer gehört hätte, wenn man überhaupt sagen kann, daß sie eine Mauer aufgestellt haben, wo es mir doch viel eher scheinen will, daß sie eine Mauer angestellt haben.

Es sprechen nämlich gewichtige Anzeichen dafür, daß sie das bei Maurern übliche und selbstverständliche, ja offenbar zur Stärkung des maurerischen Gleichgewichtssinnes wenn nicht unbedingt notwendige, so doch zumindest äußerst empfehlenswerte Maß an Trunkenheit schon längst und bei weitem überschritten hatten, bevor sie überhaupt daran gedacht haben, das probeweise Ergreifen eines Ziegelsteines auch nur andeutungsweise in Erwägung zu ziehen. Ich glaube, Herr Polier, daß Deine Maurer, die wir ja nur deshalb so nennen, weil wir uns darauf geeinigt haben, Deine Freunde und angelernten Dauertrinker, diese Erzsäufer und Leberakrobaten als Maurer zu bezeichnen, ich glaube also, daß diese Deine Maurer schon völlig betrunken gewesen sein müssen, bevor sie den ersten Ziegelstein nur so zum Spaß - wir wollen einmal sehen, wie sich so ein Stein heute überhaupt anfühlt - in die Hand genommen haben.

Wenn ich mir anschaue, Herr Polier, was Deine Maurer letztendlich für eine Mauer aufgestellt haben, so muß ich annehmen, daß sie vom probeweisen Anfassen des Ziegelsteines reichlich enttäuscht gewesen sind und sich mit einem ausgiebigen Schluck trösten mußten, bevor sie auch nur daran denken konnten, sich für eine derartig anspruchsvolle und für Deine geeichten Maurerfreunde reichlich ungewohnte Beschäftigung wie das Vermauern von Mauerziegeln den nötigen Mut anzutrinken. Ich muß allerdings annehmen, daß selbst sie dann letztlich nicht mehr in der Lage gewesen sind, sich auf zwei Beinen zu halten und mit den freien Händen Mauerstein auf Mauerstein zu setzen.

Es wird Dir schwer fallen, Herr Polier, diese niedrige, so halbwegs halbrunde Mauer, welche Deine Trinkerelite, Deine tüchtigen Zecher aufgestellt haben, auf Deinem Polierplan zu finden. Viel leichter wird es Dir fallen, die eingemauerten Doppelliterflaschen zu zählen und Dir vorzustellen, wie Deine auf den Knien liegenden und auf allen Vieren kriechenden Maurer im Kreis herum gemauert haben, solange der Vorrat an Mörtel und Ziegelsteinen gereicht hat.

Ich muß freilich annehmen, daß sogar ihnen, diesen Fässern ohne Boden, dann irgendwann einmal schlecht geworden ist, weil sie sonst das rund um sie selbst gemauerte Gehege kaum verlassen hätten, jedenfalls nicht vor ihrer zumindest teilweisen Ausnüchterung. Du siehst ja, daß reguläre körperliche Bedürfnisse - das sogenannte menschliche Rühren - für sie kein Grund gewesen sind, ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Das müssen sie aber getan haben, und zwar mit einem sagenhaft hohen Alkoholspiegel, mit einem Alkoholspiegel, von dem Du und ich nur träumen könnten, wenn unser Ehrgeiz in diese Richtung ginge.

Sie müssen es getan haben, weil sie dabei ein gutes Stück der so mühsam errichteten Mauer wieder umgeworfen haben, sonst wäre der verhatschte Kreis ja noch vollständiger erhalten. Sie haben es getan, weil sich vor ihnen alles gedreht hat und ihre Augen an der runden oder halbwegs runden Mauer ohne lotrechte Kanten keinen Halt gefunden haben.

Sie haben den selbstummauerten Bereich, welchen man wegen seines so halbwegs kreisförmigen Grundrisses nicht als Geviert bezeichnen kann, offensichtlich sogar fluchtartig verlassen. Die große Bresche, die sie dabei in ihr gerade erst mühsam errichtetes Werk geschlagen haben, sieht mir ja nicht nach geordnetem Rückzug aus. Du kannst Dir vorstellen, wie Deine Maurerfreunde aus dem verhatschten Kreis herausgestolpert oder herausgekrochen sind.

Ich glaube ja nun wirklich nicht, daß zu diesem Zeitpunkt noch einer von ihnen auf- und ausgebrochen ist, weil er einen neuen Doppelliter herbeischaffen wollte, weil er für sich und seine Kollegen noch einen Abschiedstrunk organisieren wollte. Ich halte Deine Freunde ja für ungewöhnlich tüchtige Marathontrinker und ziehe diesbezüglich auch jederzeit meinen Hut vor ihnen, aber ich glaube, Herr Polier, wir sollten ihnen trotzdem keine übermenschlichen Fähigkeiten andichten.

Ich würde das Problem auch gar nicht so sehen, als ginge es hier um die anerkanntermaßen außergewöhnliche Trinkfestigkeit Deiner Freunde, der sogenannten Maurer. Es gilt vielmehr, für die von ihnen angestellte Mauer einen Zweck zu erfinden und sie dem Bauherrn schmackhaft zu machen. Ich denke, wir laden ihn heute Abend zu einem Dopelliter ein.