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DER WARNER

Wer bei dem Namen Franz-Jakob Pretzenberger an einen fröhlichen, kräftigen und vielleicht etwas derben Gesellen denkt, der ist auf dem Holzweg, und zwar gründlich. Franz-Jakob ist von kleiner Statur, schmal, fast unansehnlich, melancholisch mit einem ausgeprägten Hang zur Pedanterie und von geradezu sprichwörtlicher Schüchternheit. Dabei könnte er mit gutem Recht die Nase etwas höher tragen: Franz-Jakob Pretzenberger ist zur Zeit der meistgedruckte Autor des Landes. Jedes Zigarettenpäckchen, welches von den staatlichen Tabakwerken hergestellt wird, trägt als Aufschrift seinen Satz "Warnung des Gesundheitsministers: Rauchen kann Ihre Gesundheit gefährden."

Es kommt natürlich nicht von ungefähr, daß der Gesundheitsminister (oder sein Vertreter) eine derart sensible Persönlichkeit wie Pretzenberger für die Formulierung seiner Warnung ausgewählt hat: Der vielleicht etwas derbe Geselle, den sich der auf dem Holzwege Befindliche vorstellen würde, hätte sich bestimmt anders ausgedrückt und dem Herrn Gesundheitsminister einen handfesten Streit mit dem Herrn Finanzminister eingebracht. Vielleicht hätte sogar die Regierungskoalition eine leichte Schlagseite davon bekommen. Man kann daran die Bedeutung der sorgfältig-schonungsvollen Formulierung F.-J. Pretzenbergers ermessen.

Auch im Fernsehen wird P. häufig zitiert: "Über mögliche erwünschte oder unerwünschte Wirkungen informieren Arzt, Gebrauchsinformation oder Apotheker." So hat es zumindest ursprünglich geheißen, und lange hatte P. über die richtige Reihenfolge der Informanten gegrübelt: 'Der Arzt sagt Dir sowieso nichts, also kann er ruhig an die erste Stelle kommen. Wenn Du aber die Gebrauchsinformation nicht verstehst, so bleibt immer noch der Apotheker übrig.' So ähnlich waren seine Überlegungen gewesen, und so hatte er auch die aufgebrachten Apotheker (vertreten durch ihre Kammer) beschwichtigt, die sich zumindest gerne an zweiter Stelle hinter den Ärzten gesehen hätten, wenn nicht überhaupt an erster. Sie hatten darin eine einmalige Gelegenheit gewittert, vor den Ärzten zu rangieren.

Ein Anruf der Ärztekammer hatte dann genügt, und die Gebrauchsinformation wurde kurzerhand als Puffer zwischen die mögliche, aber unerwünschte Wißbegierde der Patienten und die Auskunftsfreude der Ärzte gesetzt. Die Apotheker blieben Dritte.

In seinem Büro (Pretzenberger arbeitet in einer großen Werbeagentur) wird er seit seinen oben zitierten Erfolgen gerne bei ähnlich gelagerten Fällen eingesetzt, was ihm bei seinen Kollegen den Spitznamen "der Warner" (in weiterer Folge seitens einiger Cineasten darunter auch "der Warner Bros.") eingetragen hat. Vorher hatten sie ihn einfach "Brezerl" genannt.

Daß die lieben Kollegen nicht gerade zimperlich mit ihm umgehen, zeigt folgende Episode:

Am 1. April des vergangenen Jahres hatten sie ihn damit beauftragt, eiligst - "ein echter Blitzauftrag!" - ein Warnschild für die oberste Plattform des sogenannten Donauturmes zu entwerfen, um ihn dann mit seinem rasch entstandenen Text zum Chef zu schicken: "Ein Sprung vom Turm kann Ihnen Schwierigkeiten bei der Landung bereiten!"

Der Chef, welcher genau wußte, was er an seinem Pretzenberger hatte ("Daran erkenn' ich meinen Pretzenberger!"), war mit dem Text zufrieden gewesen: Er hat ihn in der Graphikabteilung ausgestalten und rahmen lassen und hinter seinem Schreibtisch an die Wand gehängt.

Pretzenberger selbst ist auch zufrieden mit seiner neuen Tätigkeit, die er als nützlich empfindet und die ihn außerdem fernhält von der Werbung für Katzenfutter und Damenbinden: Produkte, zu denen er keine Beziehung hat. "Wenn ich einmal Werbung machen muß für Katzenbinden ('für alle Tage Ihrer Katze!'), so werde ich Friedhofsgärtner!" hat er einmal gesagt, vor Schüchternheit rot bis unter die Haarwurzeln. Kurz darauf ist seine Spezialbegabung entdeckt und er selbst von der Bedrohung des Berufswechsels befreit worden. Bevor sozusagen seine ganze Werbung für die Katz' gewesen ist.

Große Befriedigung bereitet ihm, den Satz "Dieses Telefon kann Leben retten!" gefunden zu haben. Seit damals sieht er im Telefon nicht mehr den lästigen Störenfried, dessen er sich selbst nur äußerst ungern bedient. Es scheint ihm vielmehr, als würden zumindest die von der Postverwaltung an den Straßenecken aufgestellten Münztelefone eine ähnlich grimmige Entschlossenheit ausstrahlen wie die helmbewehrten englischen Bobbies. "Zerstöre es nicht!" hatte die Postverwaltung unnötigerweise hinzugefügt. Als ob der erste Satz alleine nicht genügt hätte!

P.'s Beruf ist für ihn Berufung: "Wer mehr informiert, muß weniger verbieten!" sagt er immer. In diesem Zusammenhang findet er den alten Witz von der Straßenbahn in Tel Aviv ("Springen Sie nur ab, Sie werden schon sehen!") gar nicht so lustig. Er sieht darin vielmehr ein Beispiel geschickt verpackter, weil impliziter Information, welche instande ist, das Interesse des Lesers zu wecken.

Daß die Warnung auch nicht allzu implizit sein darf, haben ihn schlechte Erfahrungen mit einem anderen seiner Texte (mit dem die Stadtverwaltung um Verständnis für die fehlende, weil umweltschädigende Salzstreuung bei Glatteis wirbt) gelehrt: "In Wien ist das Salz am Stangerl und nicht auf der Straße, daher ...bitte Vorsicht!" Ein Italiener, der Pretzenberger nach dem Weg fragte, hat ihm diesbezüglich (sinngemäß zusammengefaßt) die Augen geöffnet: Insoferne, als das Salz in Wien nicht auf der Straße wäre, deckten sich die Verhältnisse ziemlich genau mit jenen daheim in Frosinone. Das Salz am Stangerl hingegen (was ist ..?) empfinde er als unbestimmte Bedrohung, auf die er sich nicht gut einstellen könne.

Völlig abzulehnen sind nach seinem Empfinden Werbetexte ohne erkennbaren Sinn, welche leicht zu Mißverständnissen führen können. So hat sich ("Wien ist anders!") bei Pretzenberger einmal ein junger, sanfter Bursche (ein Urlauber aus Düsseldorf) erkundigt, ob wirklich ganz Wien ....?

Auch das Kuratorium für Verkehrssicherheit, dessen Spruchbänder "Verkehr ist mehr!" die Autobahnbrücken zieren, trägt (nach Ansicht Pretzenbergers) mit dieser Aktion mehr zur Erheiterung junger und älterer Paare bei als zur Sicherheit im Straßenverkehr.

Pretzenberger weiß sich mit seinen Ansichten im Gegensatz zu seinen Kollegen, welche Zweckoptimismus statt Information verbreiten. "Der Friseur macht Dich rundherum schön!" lassen sie im Fernsehen verkünden. Kunststück bei dem Mädchen im Werbespot! Sein eigener Friseur hat ihm einmal erzählt, daß er in manchen Fällen fast zusammenbricht unter der Last der Verantwortung, die ihm da die Innung via Fernsehen aufgebürdet hat.

"Die Mädchen kommen voller Vertrauen, mit total übersteigerten Erwartungen zu mir und gehen dann enttäuscht wieder weg" hat er gesagt. Und "Ich möchte einmal einen von Euch Werbefritzen bei mir arbeiten lassen!"

"Warnung, Schönheit vergeht!" würde P. auf die Kosmetika drucken lassen. Daß mies bleibt, ist ohnehin Allen klar.

"Hol' Dir Dein XY!" trompeten die Kollegen in D-Dur. Daran, daß XY auch zu bezahlen ist, denkt bei Anhören dieser Werbung nur er selbst (und natürlich auch deren Auftraggeber).

P. distanziert sich auch von jenen Kollegen, welche er die Mundräuber nennt. Kaum ein Abend, an dem nicht für irgendein Produkt mit der folgenden Szene geworben wird: Die Hauptfigur des Spots ist durch Kauf oder Schenkung in den Besitz einer bestimmten Köstlichkeit gekommen. Er betrachtet sie von allen Seiten und preist sie mit reinen, einfachen Sätzen, wie sie der Großteil des Publikums zu verstehen vermag. Kaum aber schickt er sich an, die Köstlichkeit zu verzehren, da greift die Hand einer bis dahin unauffälligen Nebenfigur danach und die Hauptfigur hat gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie sollten das einmal bei der Werbung für Hundefutter probieren und dem Hund seinen Happen vor der Nase wegschnappen, dann würden sie schon sehen!

Unbedenklich, aber wegen der ständigen Wiederholung langweilig findet P. auch die folgende Szene: Ein Darsteller männlichen Geschlechtes hält ein Gefäß, welches abermals ein Genußmittel enthält, in der Hand. Er führt das Gefäß an den Mund und kostet, während die Umstehenden den Atem anhalten. Nach einigen bangen Sekunden bewegt er den Charakterkopf zustimmend auf- und abwärts, worauf sich allgemeiner Jubel am Bildschirm ausbreitet.

Gerne hingegen anerkennt P. die Leistung anderer, wenn ihn eine Werbung wirklich befriedigt. So nimmt er öfters beim Nachhausegehen einen kleinen Umweg in Kauf, um an jener Farbenhandlung vorbeizukommen, deren Besitzer mit einem regenbogenfarbenen Zebra (schulterhoch) in der Auslage und den Sätzen "Good Lack!" und "Lack mal wieder!" für seine Produkte wirbt.

Seine Wahrheitsliebe - oft fast schon Pedanterie - hat Pretzenberger mehr als einmal in peinliche Situationen gebracht. Als Beispiel sei ein Vorfall erwähnt, welcher ihn dazu gezwungen hat, seinen Bäcker zu verlassen und zu einem anderen zu wechseln.

In der Auslage dieses Bäckers hatte P. eine Backware erblickt, welche - soweit er dies als interessierter Laie beurteilen konnte - alle Voraussetzungen für die Bezeichnung "Strudel" erfüllte. Der Bäcker hatte jedoch "Wiener Nußbeugel, S 29.90" dazugeschrieben. Bei seinem nächsten Besuch in diesem Geschäft (P. hatte beabsichtigt, einen Weißen Wecken zu besorgen) hat er den Bäcker höflich aufmerksam gemacht: Das Wort Beugl oder Beugel komme, wie auch die Beuge, von "biegen". Die als Beugel bezeichnete Backware sei daher vielmehr als Strudel zu deklarieren und nicht als Kipfel, wofür Beugel lediglich ein anderer Ausdruck sei.

Zuerst hatte ihn der Bäcker gutmütig ausgelacht und ihm erklärt, daß die in dieser Form gefertigte Backware bei unbeeinträchtigtem Geschmack und Nährwert nicht nur einen Arbeitsgang weniger zur ihrer Herstellung benötige (nämlich das bewußte Biegen), sondern darüber hinaus auch leichter zu verpacken und zu lagern sei.

Dann müsse er sie aber auch als Strudel und nicht als Beugel bezeichnen, und sich nicht durch den unzutreffenden Gebrauch eines unterschwellig verlockenden Altwiener Wortes einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil schaffen, hatte Pretzenberger insistiert. Da hat der Bäcker den weißen Wecken, den er soeben herausgelegt hatte, ergriffen, ihn über's Knie gebrochen und die beiden Teile Pretzenberger an den Kopf geworfen: "Da hast dei' Beugl, Bürscherl, und kumm' ma' nimmer in mei' G'schäft!"

Augenblicke seltener Bitterkeit erzeugt in Pretzenberger ein Phänomen, welches er die "Ersatzhöflichkeit" nennt, darauf anspielend, daß es nach seinem Ermessen mit der wahren Höflichkeit im Argen wäre: "Blättern Sie bitte um, lesen Sie bitte weiter auf Seite 20!" wo es doch ausreichend wäre zu schreiben: "Fortsetzung auf S 20". Oder auch: "Diese Packung bitte gekühlt aufbewahren!" Trotz seiner Autoritätsgläubigkeit ist er manchmal versucht, die Milch einfach sauer werden zu lassen. Und wenn es eine Binsenweisheit wäre, er hätte geschrieben: "Warnung der Molkerei (wenn nicht überhaupt der Kuh): Ungekühlt kann Ihre Milch sauer werden!"

Schließt P. die Augen, so sieht er ihn händeringend vor ihm knien, den alkoholfreien Bierbrauer, der ihn anfleht: "Bitte nur gut gekühlt genießen!"

Stößt F. J. untertags auf solche Fälle, bei welchen sachliche Information (nach Möglichkeit unter Angabe des Informanten) durch liebedienerische Anbiederung ersetzt wird, hat er bei einer Grundsatzdiskussion mit den Kollegen wieder einmal den kürzeren gezogen oder lastet aus anderen Gründen der verbrachte Tag schwer auf seinem Gemüt, so kehrt er zur Entspannung am Heimweg (erraten!) im Gasthaus "Zum lustigen Radlfahrer" ein.

Der Wirt, der ihn schon kennt, überreicht ihm, sobald er seiner ansichtig wird, ohne weitere Aufforderung ein Krügel Bier und einen Obstler mit den Worten: "Warnung des Wirtes: Davon können Sie einen Rausch bekommen!"