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DER NICHTRAUCHER

Dies ist die Geschichte von Wolfgang P., der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt und das (Tabak-) Rauchen aufgegeben hat. Für die Geschichte ist dabei ohne Bedeutung, zum wievielten Male diese Umwandlung (bisher stets mit darauffolgender Rückwandlung - Physiker würden es vermutlich einen Kreisprozess nennen) bereits stattgefunden hat.

Wir wollen auch besser nicht von P.'s vorangegangenen erfolglosen Versuchen reden, besonders nicht von jenem, über den sich ein ehemaliger Kollege nach fast 20 Jahren immer noch den Bauch hält vor Lachen, wenn die Rede darauf kommt: P. hatte den Beginn seiner Entwöhnung in Abhängigkeit von der Jahreszeit und den Mondphasen, seinem beruflichen Einsatz und vielen anderen Faktoren sorgfältig geplant gehabt. Letzten Endes war dieser Zeitpunkt dann mit dem mehrtägigen Besuch seiner (von ihm überaus geschätzten) Schwiegermutter zusammengefallen: P. ist damals bereits am zweiten Tag von seiner Frau händeringend gebeten worden, doch ja wieder zu rauchen. Sie hat ihm sogar selbst Zigaretten und Zündhölzer besorgt. Gerade von diesem Versuch aber wollen wir jetzt (wie schon zuvor gesagt) nicht reden.

P. hat den meisten Nichtrauchern einiges voraus. So weißer zum Beispiel ziemlich genau, wieviel er täglich nicht raucht. Er würde sich als Ketten-Nichtraucher (Nichtketten-Raucher?) bezeichnen. Nichtraucher, die in ihrem Leben noch nie geraucht haben, können ihn daher bestenfalls mit der Dauer ihrer Abstinenz, kaum aber mit deren Ausmaß beeindrucken. Es ist freilich schwer zu beurteilen, ob "Noch nie eine angerührt" oder "Bis zu 4 Packerln täglich, früher" den stärkeren Nichtraucher ausmacht. Wesentlich einfacher sind da wohl die Raucher ihrer Intensität nach zu unterscheiden.

Trotz seiner guten Vorsätze kann P. seinen neu erwählten Gesinnungsgenossen nicht überall und unbedingt zustimmen. Unverständlich findet er z. B. ihr Gefasel vom passiven Rauchen: Als passiven Raucher kann man doch nur jemanden bezeichnen, der von anderen aktiv geraucht wird. P. kann sich noch aus seiner Volksschulzeit an die Drohungen Gleichaltriger erinnern, wenn sich die Kontrahenten Mut machten, bevor sie ihrem Gegner die Schultasche über den Kopf hauen oder einen Knödelreiter (auch Eisbären, jedenfalls einen Stoß mit dem Knie seitlich in den Oberschenkel) verpassen wollten: "Sowas wie Dich raucht mein Großvater in der Pfeifen!" Ein realer Fall von Gerauchtwerden (Tabakspfeifen-Kannibalismus?) ist ihm jedoch noch nie zu Ohren gekommen, viel eher von Geräuchertwerden (was allerdings auch noch arg genug ist).

P. mißtraut auch den sogenannten "leidenschaftlichen Nichtrauchern": Kann man sich mit Leidenschaft einer Tätigkeit enthalten? Kann man überhaupt leidenschaftlich tugendhaft sein, fragt er sich, gewohnt, der allzu öffentlich zur Schau gestellten Tugend zu mißtrauen.

Während P. früher aktiv geraucht hat, sieht er sich nun als aktiven Nichtraucher. Etwas Bestimmtes nicht zu tun ist nämlich etwas ganz anderes (und viel anstrengender) als nur einfach nichts zu tun: Die Enthaltsamkeit ist klarerweise viel schwerer als die zugehörige Haltsamkeit. So verwendet P. einen großen Teil seiner Energie und seiner Zeit ganz bewußt darauf nicht zu rauchen. Man kann sicher sein, daß ihm früher das Rauchen einer ganz beachtlichen Anzahl täglicher Zigaretten nicht nur leichter von der Hand gegangen ist, sondern ihn - jetzt einmal ganz abgesehen vom finanziellen Aufwand - auch viel weniger Zeit gekostet hat.

Während der Übergang vom Nichtraucher zum Raucher in der überwiegenden Zahl der Fälle langsam, dafür aber meist unwiderruflich (für die Physiker: irreversibel) vor sich geht, findet der umgekehrte Übergang meist schlag- und schockartig statt, allerdings mit weniger Aussicht auf Dauerhaftigkeit.

Zahlreich sind die Methoden, welche diesen Schock verringern sollen, gering ist deren Wirkung. Bei seinem aktuellen letzten Versuch hat P. die Hilfe eines Hypnotiseurs gesucht. Nach ausführlicher Einleitung hat ihm dieser einen Kugelschreiber vor die Nase gehalten und mit singender Stimme begonnen: "Bald werden Sie diese Spitze nicht mehr scharf sehen können...."

Daß P. den Kugelschreiber wegen seiner Weitsichtigkeit von Anfang an ohne Brille kaum hatte sehen können, hat ihn (innerlich) dermaßen erheitert, daß er trotz bester Vorsätze einfach nicht mehr zu hypnotisieren war.

Natürlich konnte das der Hypnotiseur nicht wissen. Es wäre jedoch gut, er würde künftig seine Beschwörung so einrichten, daß derartige Pannen nicht passieren können. P. will daher dem Hypnotiseur für den Fall dauerhafter Enthaltsamkeit nur geringen Anteil am Erfolg zubilligen. Der möge sich mit dem Honorar, von dem selbst P. locker einige Wochen lang hätte kräftig rauchen können, begnügen!

Unnötig zu sagen, daß P. jede Nacht im Traume und unter unsäglichen Gewissensbissen (tu's nicht, tu's nicht, sonst war die ganze Mühe wieder umsonst!) seine Zigarette raucht. Letzte Nacht war es eine filterlose, die er in einer schmutzigen öffentlichen Bedürfnisanstalt, vermutlich am Wiener Südbahnhof, geraucht hat. Wahrscheinlich hat das schlechte Gewissen den ungemütlichen Ort gewählt. Bei Tage hingegen kaut P. den zu diesem Zwecke hergestellten Gummi, daß ihn die Kiefer schmerzen. Er hat sich bereits einen ordentlichen Muskelkater bis in die Ohren hinein eingewirtschaftet.

Interessanter als man glauben würde, ist die Betrachtung des Schleifchens, welches den noch unbenützten, originalverpackten Kaugummi umgibt: Ein stilisiertes Männchen wirft Stilisiertes in einen stilisierten Papierkorb. Daneben wendet sich der Hersteller in 7 Sprachen an den potentiellen Kauer. So wird dieser auf Französisch und Spanisch ziemlich barsch aufgefordert, seine Stadt sauber (propre bzw. limpia) zu halten. Am Lande kauen Engländer und Schweden: Keep your country tidy! (Die Schweden sagen lediglich "naturen" statt "country"). Wesentlich weiter geht hingegen die italienische Aufforderung, das "ambiente" zu respektieren. Die Anrede in der zweiten Person Einzahl klingt nach erhobenem Zeigefinger. Der deutsche Text hat ebenfalls einen Touch von Ökologie und wendet sich an die Allgemeinheit: "Haltet die Umwelt sauber!" Am herzigsten sind wieder einmal die Holländer: "Houd stad en land schoon!" meinen sie.

Immerhin ist die Entsorgung eines Kaugummis für den Verbraucher selbst wesentlich einfacher als jene von Kautabak, weshalb auch die wenigsten Neo-Nichtraucher von dieser Alternative Gebrauch machen. Wer kann denn schon überall den Saft seines Priems von sich speien, noch dazu durch die Zähne! Vermutlich aus ähnlichen Gründen hat sich bei uns auch das Kauen von Betelnüssen noch nicht so richtig durchgesetzt. Zu untersuchen wäre, warum sich der Schnupftabak so geringer Beliebtheit erfreut.

Abgesehen von allem Anderen gibt es schon gewisse Unterschiede zwischen Rauchen und Kauen: Während das Rauchen bei Tisch nur willkürlich festgelegten (konventionellen) Einschränkungen unterliegt, über die man sich leicht hinwegsetzen kann, ist es wirklich fast unmöglich und keinesfalls ratsam, neben der Mahlzeit auch noch einen Gummi zu kauen. Anderseits kann man an jenen Orten, wo selbst P. nicht geraucht hat, völlig ungestört kauen: Unter der Dusche und in der Sauna, im Extremfall sogar unter Wasser.

Ein lediglich theoretischer Vorteil ist das völlig unbedenkliche Kauen bei Explosionsgefahr, zumindest im Fall von P., welcher keinen Job bei den städtischen Gaswerken anstrebt.

Ausgesprochen angenehm empfindet P., daß er sich plötzlich auch in geschlossenen Räumen frei bewegen kann, ohne stets auf die Nähe eines Aschenbechers oder eines Gegenstandes, welcher sich notfalls als solcher mißbrauchen ließe, achten zu müssen. Raucher verstreuen die Asche ja nicht gerne und freiwillig!

Auch der Husten, welcher allen sein Kommen schon von Weitem verraten hat, ist schon am zweiten Tage verschwunden. Aus Gründen der Fairness hat P. daher die Gewohnheit angenommen, bei seiner Annäherung im Stiegenhaus und am Gang "Kutz, kutz!" zu rufen.

Das Rauchen aufzugeben ist in erster Linie Charaktersache. Dementsprechend sind auch P.'s Kinder stolz auf ihren Vater, während seine liebe Frau noch immer nicht recht zu hoffen wagt, daß es ein Ende habe mit der ewigen Selcherei. Zu seiner Unterstützung versucht sie, ihrem Mann das Nichtrauchen schmackhaft zu machen: "So wirst Du vielleicht doch noch mit Deinen Enkelkindern (derzeit nicht einmal ansatzweise vorhanden) spielen können!" Freilich kann man von einem Nichtraucher nicht verlangen daß er versteht, wie wenig die Hoffnung auf Spiele mit möglichen Enkelkindern vom Wunsch nach einer Zigarette ablenkt.

Große Unterstützung erhält P. auch von seinen Kollegen, zum größten Teil ehemalige Raucher (allerdings kann sich keiner mit P. messen in bezug auf die Zahl der nicht mehr gerauchten Zigaretten). "Noch immer clean?" begrüßen sie ihn am Morgen, und seltsamerweise ist es das Wort "clean", welches ihm bei seinem Vorhaben hilft.

P. erinnert sich dabei an gewisse Fernsehfilme, in welchen der tapfere (meist weiße) Polizist einen lausigen kleinen Puertoricaner aufstöbert und beginnt, diesen mit seinen Tricks zu nerven (jetzt hab' ich den richtigen Ausdruck: "Löchern" heißt das!) und ihm die Hölle heiß zu machen. "Hey, Mann, was soll das, ich bin clean..." sagt dann die Jammerfigur. "Natürlich ist er das nicht!" denkt der Zuschauer und lehnt sich im Sessel zurück mit dem Gefühl völliger moralischer Überlegenheit bzw. moralisch überlegener Völle (wenn der Film im Hauptabendprogramm nach dem Nachtmahl läuft).

Tatsächlich lenkt der Puertoricaner (oder überhaupt Schwarze) bald ein: "Okay, okay, jetzt mach' mal langsam, Mann, ich sag's ja schon... hey, Mann Gottes, was tust Du da!" Und weg ist das ganze schöne Heroin, Kokain, Gras, Haschisch, LSD oder was auch immer: In die Luft geblasen vom braven (meist weißen) Polizisten. Keine Spur von Mitleid hat P. in solchen Fällen für die kleinen und oft schmutzigen Puertoricaner im Fernsehen übrig. Daran denkt er jetzt, wenn er sich selbst zu sehr bemitleidet.

Natürlich haben die meisten Kollegen großes Interesse an seiner Entwöhnung, vergrößert sich doch dadurch die nicht nur numerische Überlegenheit der Nichtraucher im Büro. Die wenigsten unter ihnen sind allerdings als solche militant: So wie sie früher als Raucher nicht darauf bestanden haben, jedermann in ihrer Umgebung müsse rauchen, so wollen sie jetzt auch die Enthaltsamkeit ihrer Umgebung nicht erzwingen. Ehemalige Raucher sind die toleranteren Nichtraucher!

Für Wolfgang P. jedenfalls wollen wir alle die Daumen halten: Morgen ist immerhin schon der vierte Tag!