Sysdat

Nach oben

 

DER FRAUENHELD

Der verwöhnte Leser verlangt heutzutage nach gemischter Kost, und da muß wohl auch die eine oder andere gepfefferte Passage darunter sein. Selbstverständlich verzichtet der Autor einer Erzählung, welche absolut keine einzige Anzüglichkeit enthält, von vorneherein und sozusagen freiwillig, ja vorsätzlich auf die Chance, mit der Erzählung gleichzeitig auch die Vorlage für ein Filmdrehbuch zu liefern.

Natürlich kann eine solche Vorlage auch noch nachträglich angereichert werden - nachgewürzt könnte man es nennen - aber für ein wenig Stammwürze, wie der Bierbrauer sagt, muß schon auch der Autor selbst sorgen. Mit dem Bericht über Oskar T.'s Karriere liegt nun eine Erzählung vor, welche den Appetit des Lesers auf Pikantes befriedigen wird. Angeboten aus der Filmbranche kann guten Mutes entgegengesehen werden.

Oskar T. verdankt seine ganz außergewöhnliche berufliche Laufbahn, zunächst als Vertreter, später als Direktor einer Firmenniederlassung, seinem Ruf als Frauenheld, zu welchem er durch ein grobes Mißverständnis gekommen ist: So etwa wie der Pontius in's Credo oder die Jungfrau zum Kind.

Als junger Angestellter war T. eines schönen Maienmorgens (es war der vierte dieses Monats) mit einem fürchterlichen Hexenschuß in das Büro gekommen: Die Hexe hatte ihm während einer Kegelpartie am Vorabend einen ordentlichen Blattschuß verpaßt und all den Sonntagsjägern, welche selbst auf drei Schritt Entfernung nicht einen kapitalen Gamsbock treffen, wieder einmal gezeigt, wo der Bartl den Most holt (die Berliner Synchron würde sagen: Was eine Harke ist).

Gebeugten Rückens hatte T. an jenem Morgen die Tür zu seinem Zimmer geöffnet und war zum Kleiderständer gehumpelt. Mühsam hatte er versucht, sich seines Rockes zu entledigen und diesen auf jenem aufzuhängen. Der erste Teil des Vorhabens war leidlich von Erfolg gekrönt gewesen: Linker Ärmel, vorsichtiges Hüpfen, Ächzen, Verschnaufpause. Rechter Ärmel, Stöhnen! Dann aber war der Rock auf den Boden gefallen und T., unfähig sich zu bücken, hatte den Rock dort liegen lassen, sich zu seinem Schreibtisch weitergetastet und unter neuerlichem Ächzen, Jammern und Stöhnen auf seinem anatomischen Sessel Platz genommen.

Geborgen in den Rundungen seiner nach neuesten ergonomisch-medizinischen Erkenntnissen geformten Sitzgelegenheit war es ihm gelungen, sich auf die betrübliche Verkaufsstatistik seines - zugegebenermaßen wenig ergiebigen - Verantwortungsbereiches vom Vormonat (April) zu konzentrieren, als nach kurz angedeutetem Anklopfen der weibliche kaufmännische Lehrling namens Monika, ein wohlgerundetes Mädchen von etwa siebzehn Jahren, sein Zimmer betrat, um ihn zum Abteilungsleiter zu rufen.

"Geh' Moni, sei lieb, bück' Dich für mich und heb' den Rock auf!" hatte daraufhin T. gesagt. Monika hatte ihn zwei Sekunden lang mit weit aufgerissenen Augen angestarrt und war dann kreischend aus seinem Zimmer geflüchtet.

Das laute Kreischen hatte die anderen Angestellten auf den Gang gelockt, und T. war, kopfschüttelnd und in Hemdsärmeln, unter den Augen der ganzen Belegschaft wie der Glöckner von Notre Dame zum Abteilungsleiter getorkelt.

Begünstigt durch T.'s langsame Fortbewegung einerseits, die Länge des Ganges anderseits, war bei T.'s Ankunft der Abteilungsleiter bereits über alles informiert gewesen und hatte T. mit Augenzwinkern und einem freundschaftlichen Rippenstoß (der T. fast das Gleichgewicht gekostet hätte) begrüßt.

Anstatt der beabsichtigten Kopfwäsche wegen des mageren Verkaufserfolges im vergangenen Monat (April) hatte der Abteilungsleiter T. ein Gläschen angeboten und ihn mit der Betreuung des ergiebigsten Verkaufsbereiches beauftragt, welcher durch das Ausscheiden eines altgedienten Mitarbeiters im Vormonat (April) frei geworden war: "Das richtige Betätigungsfeld für so einen Teufelskerl wie Sie!"

Kaum fitgespritzt von seinem Orthopäden, hat T. sich unverzüglich in die ihm zugeteilte fette Pfründe begeben und von der ganzen Geschichte, so wie sie sich in den Augen der Kollegen zugetragen hatte, erst einige Wochen und viele lukrative Geschäftsabschlüsse später (noch nie waren im Bezirk Tulln - KFZ-Kennzeichen TU - in einem vergleichbaren Zeitraum so viele Gurkenhobel verkauft worden!) erfahren.

Zu diesem Zeitpunkt wurde in der Zentrale bereits kolportiert, daß zwei Kollegen ihn dabei ertappt hätten, wie er sich - zwar nicht vollkommen unbekleidet, aber doch höchst unvollkommen bekleidet - von der auf seinem Schreibtisch liegenden Chefsekretärin ab- und dem weiblichen Bürolehrling zugewendet habe. Gestört durch ihr (der Kollegen) Erscheinen sei er zunächst sie, seine Kollegen, angegangen. Dann sei er zum Abteilungsleiter gewankt, noch nicht völlig Herr seiner Sinne und noch immer ohne korrekte Kleidung. "Wie ein Tier!" pflegten sie in ihren Schilderungen mit leichtem Schaudern zu sagen.

T.'s spontane Reaktion war natürlich gewesen, den wahren Sachverhalt aufzuklären. Ist es zu glauben? Seine Beteuerungen wurden nicht ernst genommen. Schulterklopfen, Augenzwinkern, anzügliche Bemerkungen: T. hatte lernen müssen, damit zu leben. Wenn er, rein zufällig und arbeitsbedingt, bei weiblichen Büromitgliedern vorbeikam, so hatten ihm diese herausfordernd in die Augen geblickt und gesummt: "Du hast Glück bei den Frau'n, Bel Ami...".

Als Erste hatte die Chefsekretärin die Initiative ergriffen. Eines Abends hatte T. beschlossen, noch etwas länger an seinem Arbeitsplatz zu bleiben: Die Geschäfte gingen über alle Erwartungen gut. Dementsprechend war auch abends viel Schreibkram zu erledigen und T. hatte sich kurz aus dem Büro entfernt, um sich zwei belegte Brötchen (mit Ei und Schinken) zu besorgen.

Bei der Rückkehr in sein Zimmer hatte er dort die Chefsekretärin angetroffen, in verführerischer Pose und sparsamer Bekleidung auf seinem Schreibtisch sitzend. Der Schreibtisch war ansonsten komplett abgeräumt: Ob er nicht wenigstens nachträglich die Tatsachen der mündlichen Überlieferung angleichen wolle? Er hatte gewollt.

Als Nächste hatte sich Monika, vormals weiblicher Kaufmannslehrling, dann Handelsangestellte (und als solche vielleicht noch weiblicher denn als Kaufmannslehrling) bei ihm eingefunden: Wenn er sie damals nicht so seltsam verkrampft, mit diesem unnatürlich gequälten Gesichtsausdruck, so schräg von unten herauf angesehen hätte, wahrscheinlich wäre sie schon damals... und überhaupt, ach, Oskar!

Die Lawine war damit endgültig losgetreten gewesen: Oskar T. ist in der Folge zunächst von allen Kolleginnen (und zwar ohne Ausnahme, von manchen sogar wiederholte Male) verführt worden, später von allen in Frage kommenden Damen des ganzen Bürohauses. Daß er dabei nie seine Gurkenhobel gänzlich aus den Augen verloren hat, ist ihm hoch anzurechnen. Als Beweis hiefür mögen seine eindrucksvollen Verkaufsstatistiken aus dieser Zeit dienen, welche auch heute noch - dem ehrfürchtigen Nachwuchs zum Ansporn - gerne vorgezeigt werden.

Zur Verleihung des Goldenen Gurkenhobels durch die Firmenleitung waren dann prompt zwei Head-Hunter erschienen, welche sich auf der Suche befanden nach dem künftigen Verkaufsleiter für die Niederlassung eines internationalen Konzerns, welcher sich vornehmlich mit Erzeugung und Vertrieb von Damenwäsche befaßt.

Der Abschied von seinen Gurkenhobeln und dem liebevoll-freundlichen menschlichen Klima in seinem Unternehmen war T. trotz in Aussicht gestellter deutlich höherer Bezüge zunächst schwergefallen. Bald jedoch hat er kennengelernt, was ein wirklich rasanter Aufstieg ist: Sein Glück und die Damen haben ihn nicht im Stich gelassen.

Heute sitzt T. in der obersten Etage eines Bürohauses im Zentrum. Zwei benachbarte Seiten seines Zimmers sind komplett verglast. Die Dächer der umgebenden Häuser liegen tief unter ihm. In den Hydrokultur-Behältern neben seinem Schreibtisch aus tropischen Hölzern wuchern exotische Pflanzen, mit ganzen Batterien spezieller Lampen bei guter Laune gehalten. Wenn T. Verkaufsstatistiken vorgelegt bekommt, dann nur mehr jene mehrfarbigen, welche wie das Abbild einer Torte aussehen und das Wesentliche auf einen Blick erkennen lassen.

Obwohl er diese Arbeit längst delegieren könnte, läßt er es sich dennoch nicht nehmen, sich gelegentlich die neuen Wäschekollektionen persönlich vorführen zu lassen. Man nennt dies Imagepflege. Manchmal, wenn ihn ein wenig die Sehnsucht nach alten Zeiten befällt, fährt er mit dem Lift hinunter in den ersten Stock, wo er ausgewählte Kundinnen bei dem Kauf eines Büstenhalters berät oder jungen ungeschickten Mädchen bei der Anprobe eines Tangahöschens behilflich ist.

Man muß nicht unbedingt Klavierspielen können, um Glück bei den Frauen zu haben: Oskar T. verdankt ihnen buchstäblich alles. Trotzdem ist ihm eine bestimmte Damenbekanntschaft bis jetzt versagt geblieben: T. hätte zu gerne die Hexe kennengelernt, welche ihm damals den Startschuß zu seinem Glück verpaßt hat!