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DER BERATER

Heinrich G. ist, zumindest was seine Arbeit betrifft, nicht gerade ein Glückspilz: Den Projektleiter mit einem weichen "d" nennen sie ihn in dem Unternehmen, in welchem er tätig ist: Projektleider. Nicht weil er unter den Projekten sonderlich zu leiden hätte: Sie gehen ihm halt leider öfters schief. Auch als Chef der Abteilung für Halt-Leider-Technik wird er aus diesem Grunde manchmal angesprochen.

Dabei versucht er nicht einmal, den Stein der Weisen zu finden, er kennt ja seine Grenzen. Nur einmal eine wirklich gute, saubere Lösung, und sei es auch nur für ein einfaches Problem: Das hätte ihm Auftrieb verliehen gegenüber den Kollegen. "Na, hast' ihn gefunden, den Stein der Waisen?" Besonders boshaft erklären sie ihm die korrekte Schreibweise des Wortes 'Waise': "Mit einem umgekehrten IA, so wie der Esel, wenn er verkehrt schreit." G. weiß nicht, ob ihn der Vergleich mit dem Waisenknaben oder der Hinweis auf den Esel mehr kränkt.

G. arbeitet in einem Büro für Unternehmensberatung: Das sind jene Ansammlungen von Experten, welche Betriebe einer jeglichen Branche durchleuchten, wie sie es nennen, und nach mehrmonatigem Studium des betreffenden Unternehmens da und dort kleine Verbesserungen anregen welche geeignet sind, im Verlauf von etwa 10 bis 12 Jahren die Kosten, die für ihre Realisierung aufzuwenden sind, sowie das Honorar des Unternehmensberaters einzuspielen (wenn man die Zinsen entsprechend niedrig ansetzt).

Im Grunde genommen ist es nichts anderes als eine raffinierte Form (sophisticated manner heißt das auf Englisch) der Arbeitsplatzbeschaffung für die Berater. Selbstverständlich ist so ein Büro auch Tummelplatz und Brutstätte für notorische Besserwisser (das sind Personen, die zwar nichts richtig wissen, dafür aber alles besser).

Im optimalen Fall erzielt so ein Berater Erfolge auf zwei Fronten: Zuerst senkt er die Kosten bei gleichbleibender Produktion, danach steigert er die Produktion bei gleichbleibenden (bereits reduzierten) Kosten. Freilich fällt dieser Beratertätigkeit auch der eine oder andere Arbeitsplatz bzw. dessen Inhaber zum Opfer, weil es der Unternehmensleitung oft peinlich ist dem Berater zu gestehen, man habe sich an den von ihm auf's Korn genommenen und zum Abschuß freigegebenen Mitarbeiter (und gerade die notorischen Nichtstuer, die sich ihre Nerven nicht durch Arbeit ruinieren lassen, sind oft sehr beliebt!) einfach schon so gewöhnt (Wirtschaftlichkeit hin, Rentabilität her).

Einer der wichtigsten Punkte für die Kostenreduktion ist die Abschaffung unnötiger Wege. Das Zurücklegen eines Weges kostet Zeit, und Zeit ist bekanntlich Geld. Niemand ist sich eigentlich der Kosten bewußt die er verursacht, wenn er nur so herumspaziert, und sei es mit den besten Absichten und im vollen Bewußtsein der eigenen Wichtigkeit. In allen Schulungskursen für Unternehmensberater wird daher das Märchen von der Weißnäherin erzählt welche sich gebrüstet hatte, sie könne es (allerdings nur was das Nähen betreffe) sogar mit dem Teufel aufnehmen. Der Teufel hatte sie beim Wort genommen und sich bereit erklärt, mit ihr um die Wette (je) ein Hemd zu nähen.

Das Mädchen hat den Teufel damals nur deshalb (und zudem äußerst knapp) auf den zweiten Platz verweisen können, weil sich jener einen so langen Zwirnsfaden eingefädelt hatte, daß er für jeden Nadelstich dreimal um's Haus laufen mußte. So hatte sie noch vor dem Teufel den letzten Knopf (am linken Hemdsärmel) befestigen können.

Hätte allerdings der Teufel damals bei jedem Stich nur zweimal oder meinetwegen zweieinhalb mal (bei jedem zweiten Stich fünfmal) um's Haus laufen müssen, er hätte glatt gewonnen, und die knusprige Beute in Form der jungen Weißnäherin wäre ihm nicht entgangen. "Sehen Sie, meine Damen und Herren, und genau das ist unsere Aufgabe, hier ist unser Ansatzpunkt!" sagen dann die Schulungsleiter.

Auch G. hatte bei seinem ersten Auftrag die Kursunterlagen in der Tasche und somit den Teufel vor Augen gehabt, wie er mit Nadel und Zwirn herumsauste wie eine gesengte Sau, um einen anschaulichen Vergleich zu gebrauchen. Allerdings hat G. dann die Entfernungen zu drastisch reduziert und die Mitarbeiter des sich im Zustand der Durchleuchtung befindlichen Betriebes so eng aneinander gepackt, daß sie sich überhaupt nicht mehr rühren konnten. Erst ganz zu schweigen von vernünftiger Arbeit.

Aber das war halt noch Anfängerpech gewesen. Der daraufhin an seiner Stelle entsandte Kollege hat die Mitarbeiter des Betriebes wieder auf vernünftige Distanz auseinandergerückt. Der Unternehmer hatte zu seinem Glück die durch G.'s Beratung frei gewordenen Räumlichkeiten noch nicht vermietet gehabt.

Ein weiterer Punkt, auf den der Schulungsleiter stets hinweist ist der, daß den Beschäftigten eines Betriebes ihre Arbeit Freude bereiten müsse: Glückliche Kühe geben die glücklichere Milch. G. vermag ihm da nur theoretisch zu folgen. Vielleicht funktioniert das bei den Kühen. Für den normalen Arbeitnehmer sieht das anders aus: Entweder er ist glücklich, dann arbeitet er gerade nicht. Oder es ist genau umgekehrt. G. hat bei seinen Beratungen nur dann glückliche Gesichter gesehen, wenn er sich anschickte, den Betrieb wieder zu verlassen.

Große Ersparnis läßt sich nach Aussage der Vortragenden auch dann erzielen wenn es gelingt, die Anzahl der erforderlichen Arbeitsschritte zu reduzieren: Gerne wird in den Kursen vom Beispiel jener amerikanischen Konservenfabrik berichtet, welche durch Weglassen von zwei Schweißpunkten pro Konservendose bei je Tausend Dosen acht Dollar Ersparnis (mit nur einem zusätzlichen undichten Exemplar) und somit für die genannte Stückzahl eine Gewinnsteigerung von sieben Dollar und 25 Cent erzielt hatte. Zu seinem Pech (leider!) ist G. noch nie in eine Konservenfabrik entsandt worden. Wer weiß, wieviele Schweißpunkte er dort eingespart hätte!

Sein in einer Bäckerei vorgebrachter Vorschlag, einen Arbeitsgang einzusparen und die Kipfeln gerade herzustellen (die Kunden werden sich schon daran gewöhnen!) ist entrüstet abgewiesen worden: "Nächstens werden wir die Gurken gerade biegen!" Mit genau dieser Methode hat allerdings ein anderer Bäcker einen schönen Batzen eingespart.

Der sparsame Umgang mit dem verwendeten Material bringt Vorteile, wenn man dabei nicht übertreibt. Das übliche Pech für G.: Er hatte dem Verantwortlichen in einer Hosenfabrik so lange zugesetzt, den nach Innen geschlagenen Saum der Hosen zu reduzieren, bis endlich alle Hosen der letzten Lieferung zurückkamen: Sie waren ihren Trägern an gut sichtbarer Stelle geplatzt. Man kann sich die Auswirkung einer solchen Rücklaufaktion auf den Ruf der Hosenfabrik leicht ausmalen: Einem Autohersteller, welcher eine ganze Modellreihe ohne Scheibenwischer und Bremsen auf den Markt geworfen hätte, wäre gewiß leichter verziehen worden.

Auch mit der Forderung nach übersichtlicher Gestaltung des Arbeitsablaufes (Schlachtruf: "Mehr Transparenz!") weiß G. nichts anzufangen. Er hat schon die ärgsten Schwierigkeiten, überhaupt die bestehenden Abläufe zu begreifen.

Daß sich G. noch immer auf seinem Posten befindet, liegt jedoch gerade an dieser seiner Begriffsstutzigkeit, die er beinahe zu einem System entwickelt hat. Der wichtigste Teil der Beratung besteht nämlich darin, die Tätigkeit der Beschäftigten im zu durchleuchtenden Betrieb genau zu studieren: Bei manchen Verrichtungen nach deren genauen Sinn und Zweck zu fragen und sich wohl auch gewisse Einzelheiten erklären zu lassen. Erst nachher kann man den Studienobjekten mit guten Ratschlägen an die Hand gehen.

Man wird verschiedene Personen über ihre Meinung bezüglich des selben Problems befragen, divergierende Auffassungen vergleichen und über alle Vorgänge ein genaues Protokoll führen müssen, um zuletzt daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen.

Wird nun G. in einen Betrieb entsandt, dann haben die dort Beschäftigten ihre liebe Not mit ihm: Wenn sie ihm einzelne Arbeitsschritte nur fünfmal erklären müssen, dann sind sie schon gut daran. Oftmals müssen sie für G. auch selbst die schriftlichen Notizen machen und bestimmte Details aufzeichnen.

Nach der fünften Erklärung schüttelt der Sachbearbeiter den Kopf: Gibt es das wirklich, seufzt er und verdreht die Augen. Beim nächsten Versuch allerdings geht ihm vielleicht ein Licht auf und er findet tatsächlich die eine oder andere Verbesserung für seine Tätigkeit: Er hält kurz inne in seiner Rede und der Ausdruck freudiger Erkenntnis erscheint auf seinen Zügen. G. muß nur auf das Aufleuchten seiner Augen warten und dann einhaken: Ist er geschickt genug, so kann er einen Teil des Erfolges für sich in Anspruch nehmen.

Verläßt G. dann endlich den Betrieb, so geht allen dort Beschäftigten die Arbeit doppelt schnell von der Hand: Was man sich eigentlich von seinem Besuch erhofft hatte!